Einführung ins
Thema
Der Gemeinschaftsgedanke, das Netz, auf das sich der und die Einzelne verlassen kann, ist seit jeher Teil der Metron-Planungs- und -Baukultur. Fehlt die Grossfamilie, in der Aufgaben auf viele Schultern verteilt sind und die sich im besten Fall untereinander stärkt und stützt, kann – so der Gedanke – die Nachbarschaft dieses Gefüge ersetzen. Doch ist in Wohnsiedlungen unterschiedlich viel von solcher Gemeinschaft spürbar. Woran liegt das? Wer oder was entscheidet darüber, ob die Nachbarschaft das Leben erleichtert und bereichert – oder nicht?
Mit einer Fallanalyse hat sich das Städtebauteam der Metron darangemacht auszuloten, welches Mass an Kontakt und Austausch die Nachbarschaft fördert: was es mindestens braucht, damit aus einem Nebeneinander ein hilfreiches Miteinander wird, und wann es zu viel des Guten ist. Und was letztlich die Gestaltung der Räume dazu beitragen kann.
Vier Wohnsiedlungen: auf dem Plan, in der Statistik und im Gespräch mit den Menschen
Dafür durchleuchtete das Team vier Siedlungen, die zwischen 1973 und 2014 der hauseigenen Feder entsprungen sind. Die Wohnsiedlungen Haberacher in Baden-Rütihof, Futura in Schlieren, Rütihof in Zürich-Höngg und die alte Chocolat-Fabrik in Aarau zeigen – wie den folgenden Seiten zu entnehmen ist – unterschiedlichste Voraussetzungen. Das Städtebauteam hat sich ihnen von zwei Seiten genähert: durch eine umfangreiche Analyse auf verschiedenen Ebenen (u.a. GIS-Auswertung statistischer Daten und städtebauliche und sozialräumliche Untersuchung) und durch Gespräche mit den Menschen vor Ort.
Herausgekommen sind vielschichtige Bilder der Siedlungen. Steckbriefe fassen die Beobachtungen und Erkenntnisse zusammen; eine Spider-Grafik stellt die Bewertung zuvor definierter Kriterien dar. Und doch können beide, Steckbrief und Spider, nur teilweise abbilden, was das hochkomplexe Konstrukt Nachbarschaft ausmacht.
Vier Fragen sind zentral, um eine Nachbarschaft charakterisieren zu können. (…) In der Kombination der Antworten ist jede Siedlung einzigartig.
Nachbarschaft fassen
Analyse und Interviews zeigen, dass vier Fragen zentral sind, um eine Nachbarschaft charakterisieren zu können: Welche Formen von Nachbarschaft gibt es in der Siedlung? Hat eine Einzelperson Einfluss darauf, den Raum den eigenen Bedürfnissen anzupassen – und falls ja, wie viel? Welche Kontakte gibt es in der Siedlung in Bezug auf Personengruppen und auf die Art des Kontakts? Wo liegen die Grenzen der Nachbarschaft – räumlich, sozialräumlich und psychologisch – und wie viel Nähe ist selbst bestimmbar? In der Kombination der Antworten ist jede Siedlung einzigartig. Es zeigen sich jedoch Motive, die offenbar allgemeine Gültigkeit haben.
Form
Die beobachteten Formen von Nachbarschaft zeigen sich auf drei Ebenen: der Ebene des Quartiers (Siedlung und angrenzende Gebiete), der Siedlung an sich und der Ebene des Hauses. Enge nachbarschaftliche Beziehungen auf Ebene der Siedlung sind abhängig von der Morphologie und Verwaltung der Siedlung und basieren zum Teil auf einem formalisierten bzw. organisierten Austausch (bspw. Mitbestimmungsmodell, Siedlungscoach).
Adaptierbarkeit
Je mehr Mitbestimmung möglich, erwünscht oder sogar gefordert ist (vgl. Chocolat-Fabrik), desto leichter lassen sich permanente Veränderungen im Innen- und Aussenraum bewirken. Auch eine hohe Wohnraumdiversität fördert Adaption (vgl. Futura und Haberacher): Ein breites Spektrum an Wohnungsgrössen und Eigentumsverhältnissen ermöglicht es, unterschiedliche Lebensphasen in derselben Siedlung zu verbringen. Bleibt das Umfeld aber langfristig, steigt auch das Interesse, es den eigenen – sich ändernden – Bedürfnissen anzupassen.
Kontakte und Interaktion
Die Fallstudien zeigen deutlich den Einfluss des städtebaulichen Konzepts auf die Interaktion. Siedlungen, deren Zentralitäten auch räumlich zentral liegen, bleiben oft soziale Inseln. Wenn sich dagegen wichtige Orte am Rand finden (vgl. Futura), öffentliche Wege durch die Siedlung führen (vgl. Rütihof) oder Nutzungen auch Externe anlocken (vgl. Futura), sind viel Besucherverkehr und Durchmischung selbstverständlich. Eine hohe Wohnraumdiversität fördert wiederum die Altersdurchmischung (vgl. Haberacher). Mit der Diversität der Nutzenden steigt das Konfliktpotenzial – und gleichzeitig die Akzeptanz des Andersartigen.
Grenzen
Die räumlichen Grenzen der Nachbarschaft sind abhängig von der Morphologie der Siedlung und von zentralen Nutzungen. Liegen diese am Siedlungsrand, erfolgt der Übergang zur Umgebung fliessend (vgl. Futura). Die halböffentliche Nutzung eigentlich privater Räume löst sozialräumliche Grenzen auf (vgl. Haberacher) und kann sich positiv auf das nachbarschaftliche Miteinander auswirken. Wenn die Qualität des privaten Raums sogar sinkt, sobald er abgegrenzt wird (vgl. Chocolat-Fabrik), wird klar: Hier endet das Miteinander nicht an der Wohnungstür.