«Hier wohnt man mit den Nachbarn zusammen»
Umnutzung Chocolat-FabrikAarau
die Chocolat-Fabrik, fotografiert von ihren Bewohnenden
von Raphaela Guin, Sebastian Lehmann, Luise Rabe, Monika Steiner
Ist das schon die Wohnung? In der alten Chocolat-Fabrik im Aarauer Telli-Quartier lösen sich die Grenzen zwischen Gemeinschaftlichem und Privatem auf. Hinter der Tür zum Treppenhaus öffnet sich ein Korridor, breit und hell, voller Pflanzen, Schuhe, Velos und Spielzeug. Links scheint durch das Fensterband die Sonne, rechts reihen sich Fenster an Türen: die Wohnungen.
Wer durch den Korridor läuft, schaut dem Nachbarn in die Küche. Diese Offenheit soll die nachbarschaftliche Beziehung stärken. Das Konzept geht auf. «Wir sind hierhergezogen, weil wir wussten, dass man hier mit den Nachbarn zusammenwohnt», berichten Pirmin Schmid und Seraina Keller. In ihrer zweigeschossigen Parterrewohnung hatten sie erst eine 4er-WG, nun leben sie hier als Familie mit einer Mitbewohnerin. «Unsere Wohnung ist mit unserer Familienplanung mitgewachsen.» Hilfreich war dabei die grosse Gestaltungsfreiheit, die die Mieterschaft hat. Sie gilt für Einbauten in den Wohnungen ebenso wie für die gemeinschaftlich genutzte Terrasse und den Garten. Den hohen Stellenwert der Aussenräume vermutet Daniel Gerber unter anderem in der Architektur: Da die Wohnungen selbst – ganz Fabrikgebäude – keine Balkone besitzen und die tiefen Grundrisse wenig Tageslicht hineinlassen, zieht es die Menschen in den Garten. Gerber gehört zur ersten Mietergeneration und hat sich dafür stark gemacht, dass der Gemeinschaftsgedanke im Haus nicht verloren geht. So wird, wer heute einen Mietvertrag unterschreibt, automatisch Mitglied im Mieterinnen- und Mieterverein, dem «Steuerungsorgan» der Überbauung.
Die Chocolat-Fabrik steht in der Umgebung für sich. Der für die Mieterschaft so zentrale Garten liegt auf der der Siedlung abgewandten Hausseite, die Wege Externer enden in der Regel in einem der Gewerberäume im Erdgeschoss. Und so unterschiedlich die Bewohnerschaft in Alter und Lebensphase ist, so sehr scheinen sich die Werte zu ähneln. Vielleicht muss das so sein, wenn man so nah beieinander wohnt. Auch ohne Blick durch das Küchenfenster. «Nachbarschaft», so Gerber, «bedeutet ganz einfach, nicht allein zu sein. Auch wenn man den Nachbarn nicht direkt sieht: Man weiss, er ist da.»
Gibt es gewisse Formen des Zusammenlebens, die Sie in Ihren
Siedlungen aktiv fördern?
Der Charakter unserer Siedlungen ist überall ein wenig anders, und dementsprechend variieren auch die Formen von Gemeinschaft. Im Zelgliacher wohnen vor allem Familien, in der Papiermühle in Küttigen Leute aus dem kreativen Umfeld, in der Geissburg gibt es eine gute Mischung aus langjährigen Bewohnern und Familien. Also ein Generationenwohnen. Das liegt auch daran, dass wir in vielen unserer Siedlungen Mietervereinigungen haben, die bei der Vergabe von freien Wohnungen ein Mitspracherecht haben. Unsere ideale Siedlung sucht sich ihre Mieterin, ihren Mieter selbst. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten sind jedoch nicht überall gleich. In vielen unserer Siedlungen funktioniert es gut, in manchen ist es schwieriger. Wenn Mieterinnen und Mieter zum Beispiel auf eine Kostenmiete angewiesen sind, haben sie oft nicht die Ressourcen, sich noch anderweitig zu engagieren.
Welche Mitsprache- bzw. Gestaltungsmöglichkeiten haben
Ihre Mieterinnen und Mieter konkret?
Was von unserer Mieterschaft zum Teil sehr geschätzt wird, ist das gemeinschaftliche Umfeld – aber auch die Möglichkeit, in der eigenen Wohnungen mehr zu gestalten als in einer normalen Mietwohnung. Ein weiteres Beispiel ist die Hauswartung auf eigene Verantwortung: Es kommt kein Hauswart oder Gärtner und macht alles pikfein, sondern es ist der Mieterschaft überlassen, wie sie ihr Wohnumfeld gestalten oder unterhalten will. Das spiegelt sich dann auch in den geringeren Nebenkosten. Wenn es einen Mieterverein gibt, finden zweimal im Jahr gemeinsame Aktionstage statt: Frühjahrs- und Herbstputz.
Warum machen Sie das?
Die Identifikation mit der Siedlung, der Gemeinschaft und mit dem Haus hat verschiedene Vorteile: Es trägt dazu bei, dass die Wohnqualität an sich besser ist. Und mit Sachen, mit denen sich die Leute identifiziert, gehen sie auch sorgsamer um. Und das wäre natürlich für uns wieder das Ideale: Das wir nicht nur Mieterinnen und Mieter haben, die Rechte haben wie Eigentümer, sondern die sich auch ein Stück weit so verhalten wie Eigentümer.