Vier Fälle von Nachbarschaft

von Raphaela Guin, Sebastian Lehmann, Luise Rabe, Monika Steiner

Lebendige Nachbarschaften sollen uns Unterstützung und Halt bieten. Architektinnen und Landschaftsarchitekten, Städtebauerinnen und Soziologen machen dafür Angebote. Doch am Ende gestalten die Bewohnenden ihr Miteinander. Der Blick in vier Metron-Siedlungen soll zeigen, welche Faktoren darüber entscheiden, wie Nachbarschaft gelebt wird.

«Es war wie Ferien –
das ganze Jahr über»

Wohnsiedlung Haberacher
Baden Rütihof

Meine Siedlung, meine Gasse, meine Wohnung, mein Haus – die Identifikation der Haberacher Bewohnerschaft mit ihrem Lebensort ist gross. Das Geheimnis scheint im Erschliessungskonzept zu liegen: Die Türen der Häuserzeilen führen entweder auf den Siedlungsplatz oder auf eine eigene Gasse. Insbesondere im Bereich der Reiheneinfamilienhäuser dient diese als erweiterter Wohnraum. Hier stehen Tische und Stühle, Kinder fahren Velo und stürmen in Gruppen von Haus zu Haus. Der Abstand zwischen Weg und Gebäude ist minimal; der Blick fällt direkt in die Küche. Hier zeigt sich, wer hier wohnt und wer zu Besuch ist. «Aussenstehende laufen mit Scheuklappen durch die Gassen. Die Internen gucken rein und winken», fasst Oliver Staub, Mieter eines Reihenhauses, zusammen.

Stimmen aus der Siedlung

Carmen Isele und Oliver Staub
Bewohnende Haberacher
Christoph Hegi
Bewohner Haberacher
Claudio Stancheris
Bewohner Haberacher

Gässlikind bleibt Gässlikind

Die Offenheit prägt. Ob als Hauseigentümerin oder Wohnungsmieter: «Die Gässlikinder kommen wieder zurück», weiss Claudio Stancheris. Er wohnte mit seiner Familie zunächst in einem Reihenhaus zur Miete und konnte, als die Siedlung erweitert wurde, eines der neuen Eigentumshäuser erwerben. Er ist in seiner Gasse zuständig für alles Bauliche; denn die Eigentümerschaft verwaltet ihre Gebäude selbst. Anders als die Mieterschaft in den Nachbargebäuden eignet sie sich denn auch selbstbewusst den Freiraum an. Stancheris’ Kinder sind mittlerweile erwachsen – und würden jederzeit das Elternhaus übernehmen. Auch die Tochter von Christoph Hegi ist im Haberacher aufgewachsen und kann sich gut vorstellen, mit eigenen Kindern zurückzukehren. Hegi selbst schwärmt von der Spontanität und der gegenseitigen Unterstützung in der Gasse, die gerade den Eltern kleiner Kinder das Leben enorm erleichtert. «Es war wie Ferien – das ganze Jahr über.»

Die Mischung macht’s

Während mit Fertigstellung einer Bauetappe oft ein ganzer Schwung Familien einzog, ist die Bewohnerschaft heute heterogener. Aus Mietern wurden Eigentümer, aus jungen Familien ältere Paare, und nicht alle ziehen wegen der engen nachbarschaftlichen Beziehungen her. «Vielleicht», meint Staub, «ist es ganz gut, dass nicht überall Familien wohnen, sondern zwischendrin auch Alleinstehende, Ruhigere. Das braucht es einfach.»

Eckdaten

Erstellungszeitraum 1974–1995
in 4 Etappen
Erreichbarkeit Bahnhof Baden 5.5 km
ÖV Güteklasse C
Grösse 77 Wohneinheiten
keine Gewerbeeinheiten
Wohnungsmix 16 Mietwohnungen
36 Reihenhäuser (RH) Miete
62–101 m2,
22 Reihenhäuser Eigentum
Mietzinsspektrum netto 1 149 Fr. (3-Z-Whg.) –
1 668 Fr. (RH)
Trägerschaft Verein Casarta
Eigentum selbstverwaltet
Bewohnerschaft gute Altersdurchmischung
sozial eher gleichförmig
Spezielles Nutzungsangebot Gemeinschaftsraum, Quartierplätze
mit Tischtennis und Spielgeräten,
Fussballfeld, Grillplatz,
Gemeinschaftsgarten
Situationsplan
Siedlungskontext

Interview mit Christoph Hegi
Bewohner Haberacher

Warum sind Sie ursprünglich in die Siedlung Haberacher gezogen?

Mit unseren kleinen Kindern war die Siedlung, in der wir vorher wohnten, nicht ideal. Dann haben wir von einem Freund gehört, dass hier etwas neu gebaut wird. Ich kenne die Gegend, da ich hier auch beruflich tätig bin. Wir haben uns für ein Haus beworben und wurden ausgewählt. Besonders war, dass alle, die frisch in diese Häuserzeilen eingezogen sind, Kinder im gleichen Alter hatten. Die haben davon enorm profitiert. Man ist von Haus zu Haus gegangen, die Türen waren offen. Plötzlich kamen drei Kinder rein – dann waren sie wieder weg und man hat sie erst wieder zum Abendessen gesehen. Das war auch für uns als Eltern ideal.

Nach drei Jahren «Absenz» wohnen Sie heute in einer Wohnung im 1. Stock des Haberacher.

Für meine jetzige Lebensphase ist das perfekt. Wenn ich Kontakt will, muss ich aktiver sein als früher, denn man ist räumlich auf einer anderen Ebene. Im Sommer ist der Balkon so grün und zugewachsen, dass man mich fast nicht sieht, wenn ich draussen bin. Die Reihenhäuser wären heute für mich sowieso zu gross. Hier habe ich 66 m2, das reicht. Das gilt auch für den Garten. Früher mit den Kindern war das cool, aber heute brauche ich das nicht mehr.

Welchen Einfluss hat die Architektur der Siedlung?

Sie ist ein sehr wichtiger Teil. Das Einfache der Wohnungen gefällt mir. Natürlich sind alle verschieden eingerichtet. Bei mir ist es eher spartanisch. Ein Tisch, ein Bett, ein Sofa, ein Schrank − mehr brauche ich nicht. Aber man muss schon der Typ sein dafür. Wer hier wohnt, der hat eher keinen Teppichboden, keinen Abrieb und keine Wohnwand.

Drei Gründe, weshalb Sie hier wohnen.

Baden ist eine tolle Stadt. Ich fühle mich als Badener, in 10 Minuten bin ich mit der Vespa in der Stadt. Rütihof selbst ist sehr ländlich. Ich mache viel Sport, da bin ich gleich überall: auf dem Berg, am Fluss … Und ich bin in die Siedlung verliebt.

Positionierung

Sehen Sie hier, wie sich die Siedlung in verschiedenen Kategorien positioniert. Die Werte basieren auf GIS-Analysen, städtebaulichen und sozialräumlichen Daten sowie Aussagen der Bewohnenden.
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